„Präventive Instrumente des Kinder- und Opferschutzes“

Dipl. Soz. Annelie Dunand

 

Im November 1991 gründeten Berliner und Brandenburger Fachkräfte den Verein STIBB e. V., das Sozial-Therapeutische Instituts Berlin-Brandenburg – mit dem Ziel, gemeinsam passgenaue Hilfen für misshandelte und missbrauchte Kinder und ihre Familien hier in Brandenburg vor Ort zu entwickeln und diese umzusetzen.

Auf Wunsch unseres Landkreises Potsdam-Mittelmark und der Stadt Potsdam begannen wir 1993 als erste Kinderschutzeinrichtung im Rahmen eines Modellprojektes des Bildungsministeriums mit dem Aufbau der Kinderschutzhilfen für sexuell missbrauchte und von Gewalt betroffene Kinder, die bis heute insbesondere in Potsdam-Mittelmark und in Potsdam sowie landesweit für die mit Kindern arbeitenden Fachkräfte fortgesetzt, weiterentwickelt und qualifiziert werden konnten.

Mitte der 90ziger Jahren förderte das Landesjugendamt unser Jungenprojekt, dessen Dokumentation in Form einer Ausstellung als Vorläufiger zu unserer heutigen Wanderausstellung zu sehen ist, deren Realisierung das Landesjugendamt ebenfalls unterstützte.

Unser Brandenburger Projekt „Gegen Gewalt an Schulen“ wurde ab 1998 vom Bildungsministerium über 9 Jahre gefördert. Es kann bei finanzieller Unterstützung auch weiterhin für die Schulen angeboten und durchgeführt werden. Hier möchte ich einen besonderen Dank an das Ministerium für Bildung richten.

Ab 2005 erhielten wir den Landesauftrag des Justizministeriums „Kindliche Opferzeugen und ihre Familien bei Sexualdelikten in Strafverfahren“ sozialpädagogisch zu begleiten.

Von Beginn an hat unsere Kommune Kleinmachnow die offene Kinder- und Jugendarbeit, wie auch später unsere Präventionsarbeit vor Ort gefördert.

Die gemeinsame Kinderschutzarbeit mit den Kindern, Familien und Fachkräften des Landes wird durch das kommende Bundeskinderschutzgesetz, in vielen Bereichen bestätigt. Sie ist bereits Anfang der 90ziger Jahren initiiert und viele Inhalte des neuen Gesetzes, wie z. B. die interdisziplinäre Kooperation oder die Qualitätsentwicklung der Jugendhilfe nach § 8a KJHG gehören heute zu unseren Standards.

Ihnen allen als unseren Partnern herzlichen Dank.

Unser ganzheitliches und kindorientiertes Kinderschutzkonzept, das präventive wie intervenierende Hilfeangebote beinhaltet und miteinander vernetzt, ist immer an den Hilfesuchenden, dem jeweiligen Bedarf und dem Kontakt mit den Familien und Kindern orientiert.

Damit wir die von Gewalt und sexuellem Missbrauch Betroffenen erreichen und die Fachkräfte kompetent unterstützen können, haben wir in den zurückliegenden Jahren ein hoch flexibles und vielfältiges Hilfe- und Qualifizierungs-Angebot entwickelt, erprobt und umgesetzt.

Das Wichtigste im Rahmen der Kinderschutzarbeit ist es, die Kinder ins Zentrum der Aufmerksamkeit, Hilfen und Unterstützung zu stellen und das Umfeld zu befähigen,

ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Dabei haben die präventiven Maßnahmen im Lebensumfeld der Kinder, die Stärkung der Elternkompetenzen wie auch die Unterstützung und Schulung der Fachkräfte einen zentralen Stellenwert.

Es waren die betroffenen Jungen und Mädchen, die uns nicht nur die Idee zu unserer Wanderausstellung „Un-Heimliche Macht – Gegen sexuelle Gewalt an Kindern“ gaben, sie selbst waren auch an der Gestaltung dieser Ausstellung beteiligt.

Die Betroffenen sind die Experten in Sachen sexueller Missbrauch, sie machten uns auf das Vorgehen von Tätern und ihr eigenes Dilemma aufmerksam.

Sie zeigten uns, direkt oder indirekt, ihre eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht, alleine die eigenen Verstrickungen mit den Tätern zu lösen und deren Einflüsse auf ihre Bezugspersonen zu durchbrechen.

Bereits in den 90ziger Jahren begannen wir mit Präventionsmaßnahmen für Erwachsene, für Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter und Erzieher. Sie sind es, die häufig als Erste vom sexuellen Missbrauch erfahren, denen sich die Kinder und Jugendlichen anvertrauen und von denen die Betroffenen Hilfe erwarten.

Kinder können nicht wissen, dass es viele Erwachsene gibt, denen es ebenfalls schwer fällt, sich den Problemen von sexuellem Missbrauch zu stellen, eine angemessene Reaktion zu zeigen und Hilfe zu leisten.

Häufig beziehen die Kinder das Zögern, Zweifeln oder Verleugnen der Erwachsenen auf sich selbst; sie geben sich erneut die Schuld, was im Ergebnis einen weiteren Rückzug zur Folge hat. „Mir kann niemand helfen“, ist eine nicht seltene Aussage von den kindlichen oder jugendlichen Opfern.

Erwachsene und Kinder, die über Kenntnisse von Täterstrategien und Täter-Opfer-Dynamiken verfügen und Wege zur Inanspruchnahme von Hilfe und Unterstützung kennen, sind wesentlich früher und direkter in der Lage, bei möglichen Gefährdungen zu reagieren und bei Bedarf fachliche Hilfe zu holen.

Auch wenn wir uns oft scheuen, halten wir es für wichtig, die Verursacher in den Blick zu nehmen und im Blick zu halten und ihnen „quasi auf die Finger zu schauen“, damit wir das gezielte und strategische Vorgehen nicht nur gegenüber dem ausgewählten Kind, sondern auch gegenüber seinem Umfeld erkennen und erfolgreich Gegenstrategien entwickeln können.

Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist immer auch ein Missbrauch des Vertrauens der erwachsenen Bezugspersonen und vor allem der Eltern.

Sehr häufig gehen Missbraucher auf folgende Weise vor:

Zunächst sind es Phantasien, Gedanken und Gefühle in der Person des Missbrauchers, die dieser mit der Motivation, „Sex mit Kindern“ haben zu wollen, verbindet.

Er überwindet eigene Hemmungen und blendet Grenzen für sich und die anderen aus.

Im Rahmen seines geplanten und gezielten Vorgehens wählt er das Kind aus, überprüft seine Bedürftigkeit, mögliche Defizite und die Zugänglichkeit des Kindes, die er im Weiteren für den eigenen Vorteil zu nutzen versteht.

Auch die äußeren Hindernisse werden durch seine perfekte Planung, Steuerung und Täuschung des kindlichen Umfeldes gezielt überwunden.

Zu diesen Strategien gehört auch das in der Wanderausstellung dargestellte Doppelgesicht der Täter, welches allein das Opfer wahrnimmt.

Menschen, die sich gezielt an Kindern vergreifen, bauen häufig ein Netzwerk zur Verschleierung ihrer Aktivitäten auf, was ein Täter zutreffend beschreibt:

„… Das Netzwerk war im Laufe der Jahre zu einem beachtlichen Tarnnetz herangewachsen und wurde ständig erweitert, um meine innere Zerrissenheit, das unkontrollierbare Chaos in mir abzuschirmen. Ein Netz, unter dem ich unbemerkt meine Töchter und später Enkeltöchter zu sexuellen Handlungen missbrauchen konnte, ein Netz der Verschwiegenheit, ein Netz der Verdrängung, ein Netz der Lüge, ein Netzwerk der ständigen Kontrolle.

Viele Jahre schien es so, als wäre dieses Netzwerk stabil und unantastbar. … „ (Zitatende)

Sein Netzwerk wurde erst nach Jahrzehnten durch die Offenbarung der Kinder und Enkelkinder und die Konfrontation anlässlich einer Familienfeier zerstört.

Damit missbrauchte Kinder reden können, bedarf es eines kindzentrierten und emotional zugewandten Klimas, in dem das Kind sich wahrgenommen fühlt und von dem es annehmen kann, dass ihm geglaubt wird.

Wenn dieses nicht vorhanden ist, wenn Kinder ihre eigene Chance von ausreichendem Schutz, Annahme und Geborgenheit für gering einschätzen, verharren sie in Schweigen und suchen nach anderen Wegen, um auf sich aufmerksam zu machen oder uns zu beschäftigen, ohne dass wir die Hintergründe für ihr auffälliges Verhalten oder auch ihre wiederholten Erkrankungen erkennen.

Auch die Bemühungen von Fachkräften, mit den Eltern eine gemeinsame Problemklärung zu bewirken, haben in diesen Fällen wenig Aussicht auf Erfolg. Zum einen stehen sie dem Streben des Täters, die Geheimhaltung unter allen Umständen zu sichern und selbst unerkannt zu bleiben, diametral entgegen. Zum anderen hat dieser nicht nur das ausgewählte Kind, sondern auch sein Umfeld längst in seinem Sinne beeinflusst.

Der sexuelle Missbrauch von Kindern bedeutet Fremdsteuerung und Fremdbestimmung, deren Wiederholung das Schweigen verdichtet – was in jedem Fall vermieden werden sollte.

In solchen Fallkonstellationen reichen Einschätzungen der potentiellen Gefährdungen von außen und gemeinsam abgestimmte Hilfeangebote nicht aus, den Einfluss des jeweiligen Missbrauchers zu stoppen und den Schutz des Kindes zu sichern.

Hier brauchen die Kinder, Eltern und Bezugspersonen mehr Wissen und mehr Handlungskompetenz, positive Erfahrungen und eine zugewandte Begleitung, die ihren eigenen Bedürfnislagen entspricht und ihre eigenen Ressourcen zum Selbstschutz und zur Selbstbehauptung stärkt.

Unsere Wanderausstellung, zu der meine Kollegin Frau Kernich reden wird, ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg der gezielten Aufklärung und Sensibilisierung für die Schutzinteressen der Kinder; ein Weg, der mit unserem Schattentheater nun ergänzt werden kann.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.