„Neue Formen der Gewaltprävention“

Dipl. Päd. Christine Kernich

 

Ich möchte hier kurz etwas zur Präventionsarbeit des STIBB ausführen – genauer: zu ihren Ansatzpunkten, Zugehensweisen und Wirkungsmodellen – als effektiven Instrumenten des Kinderschutzes und erweitert auch der Opferhilfe.

Prävention ist bei uns ein wesentliches Werkzeug, das nicht nur als Feld additiv zu unseren anderen Arbeitsfeldern gehört – der Beratung und Krisenintervention, der Opferhilfe und der Qualifizierung der Fachkräfte in Kinderschutzbelangen sowie ggf. deren Beratung als Insoweit Erfahrene Fachkräfte. Vielmehr haben und pflegen wir eine Arbeitsweise, die oft integrativ vorgeht und das jeweilige konkrete Ziel – den Schutz von Kindern in seiner besonderen Form – auf vielfältige Weise angeht und umsetzt. Hier nutzen wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel und professionellen Kompetenzen in einer bewussten Zusammenwirkung, um effektiv – d.h. schnell und umfassend wie auch zielgenau – Kindern und ihren Familien Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen.

Präventiver Kinderschutz bedeutet in diesem Kontext: die Kinder und Jugendlichen in ihrem Lebensumfeld wahrzunehmen und dieses Umfeld mit seinen Institutionen und Vorgehensweisen so zu unterstützen, dass Gewalt und Machtmissbrauch abgewendet werden können bzw. dass eingetretene Folgen so schnell und umfassend wie möglich durch fachliche Interventionen eine positive Veränderung erfahren.

Dies muss immer konkret gedacht werden. Es beinhaltet auch, dass wir in der Regel auf Bedarfe reagieren, die uns mitgeteilt werden und auf die wir punktgenau einzugehen uns bemühen.

Prävention – d.h. Vorbeugung – ist in diesen Fällen eher als sekundäre im Sinne eines frühzeitigen Stoppens von Gewaltentwicklungen zu sehen und ergänzt andere primärpräventive, breitenwirksame Angebote – wobei wir die Breitenwirkung, wie Sie bei unserer Wanderausstellung sehen werden, sehr wohl schätzen, sie aber gleichzeitig z.B. durch die Multiplikatorenschulungen als Tiefenwirkung anlegen.

In der Regel arbeiten wir im präventiven Kinderschutz eben doch am Problem, auch wenn Vorbeugung idealtypisch Gewaltentwicklung verhindert. Da es aber Gewaltprobleme gibt, mit denen sich Menschen an uns wenden, real und auch nicht nur in den ersten 6 Lebensjahren, müssen wir lösungsorientiert arbeiten.

Lösungswege zu bereiten und zu finden, fordert von uns, klare Haltungen und realistische Handlungsstrategien gegen Gewalt gemeinsam mit den Betroffenen zu entwickeln.

Dazu gehört, in unserer Arbeitsweise auch in der Prävention die Qualitäten zu realisieren, die wir anstreben: Schutz und Hilfe für Opfer von Gewalt, Bindungs- und Kontaktorientierung, sichere Grenzen, Kommunikation auf Augenhöhe und Partizipation. Vorzugsweise geschieht das in gemeinsamen, trainierenden und experimentierenden Formen, in einer gleichberechtigten Kommunikation, im Ernstnehmen von Motiven und Signalen auch bei der Grenzsetzung gegenüber auffälligem Verhalten.

Die Begrenzung von Gewaltformen unter Kindern und Jugendlichen – wie Machtspielen, Bullying und Cybermobbing – braucht sowohl das persönliche, möglicherweise konfrontierende, klärende Gespräch und reale Konsequenzen wie eine Umorientierung auf zu erprobende Alternativen. Solche Handlungsalternativen in Kontakt, Gespräch, Experiment nahe und machbar zu gestalten, braucht auf den konkreten Fall zugeschnittenes Vorgehen und Arbeitsformen, die die einfühlende Wahrnehmung und die persönliche Entscheidung für faire und soziale Formen der Selbstbehauptung fördern.

Hier sind wir davon überzeugt, dass diese eine umso größere Wirkungskraft erhalten, wenn wir möglichst zeitgleich mit den Eltern und den Lehrkräften bzw. Fachkräften die konkret vorliegenden Probleme aus deren Perspektive thematisieren, um gemeinsame Ziele zu finden.

Solche Mehr-Ebenen-Modelle der Prävention sind in der Wirkungsforschung als besonders effektiv bekannt. Im Übrigen sind es gerade oft die besorgten Eltern oder Fachkräfte, die uns als erste rufen und Unterstützung wünschen.

Ein herausragendes präventives Mehr-Ebenen-Modell ist unsere Wanderausstellung gegen sexuelle Gewalt an Kindern. Sie richtet sich an Kinder, Jugendliche, Eltern wie Fachkräfte und Bürger. Sie qualifiziert, orientiert, schützt, ermutigt, vernetzt. Sie ist ein zentrales Instrument des Kinderschutzes, das dem Kind Kompetenzerwerb, Ermutigung, wachsamen Selbstschutz ermöglicht, zeitgleich mit der informierenden Sensibilisierung der Eltern und der Qualifizierung der Fachkräfte.

Sie setzt den Strategien der Täter als Lösung eigene Strategien entgegen und öffnet den Raum für Hilfe und Hoffnung.

Die aktivierten Fachkräfte am jeweiligen Ort erleben ihre weiträumige und gründlich qualifizierende Einbeziehung in ein konkretes präventives Projekt – ein gemeinsames Sich-Einsetzen für ein wichtiges Ziel, das sich positiv im eigenen Sozialraum auswirkt. Und: diese weiter qualifizierten Fachkräfte bleiben der Region erhalten und können als solche genutzt werden. Ebenfalls sind sie Brückenpersonen, die schnelle Hilfen herstellen können und schnelle Beratung in Krisenfällen ermöglichen helfen.

Dies hat der Landespräventionsrat bereits 2005 als beispielgebend mit dem Landespräventionspreis gewürdigt. Inzwischen ist die Ausstellung in über 230 Einsätzen (jeweils zwischen einem und 20 Tagen) in ganz Brandenburg genutzt worden, und mehr als hundert regionale Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wurden von uns ausgebildet.

Große Orte mit viel Umland haben davon ebenso profitiert wie kleine; einige der größeren Orte, aber auch einzelne engagierte Schulen haben sich die Ausstellung mehrfach geholt und nutzen sie weiter regelmäßig. Wir fahren z.B. mit der tragbaren Fassung für zwei Tage ins Oderbruch, um in einem kleinen Ort alle Schulen, Lehrkräfte und Eltern zu erreichen, und wir kooperierten mit STELLIT in St. Petersburg, das dort europäische Beispiele für Prävention von sexuellem Missbrauch an Kindern für seine eigene Arbeit suchte.

Die „große“, hier zu sehende Ausstellung steht in der Regel eine bis mehrere Wochen an einem Ort; zu ihr gehören jeweils im Vorfeld 4 – 5 aktivierende, die Fachkräfte der Region einbeziehende Treffen zur Realisierung des ganzen Projekts, die Gewinnung von Multiplikatoren und ihre Ausbildung für die Begleitung der Gruppen in der Ausstellung in zwei ganztägigen Schulungen. Im Verlauf der Ausstellungszeit begleiten wir Schulklassen und Elterngruppen, informieren und beraten Teams der örtlichen Kitas und Horte, veranstalten interdisziplinäre Fachrunden.

Diese große Fassung wurde 64 mal eingesetzt.

Die „kleine“, flexibel transportable und einsetzbare Fassung begleitet uns in Fachkräftefortbildungen, in einzelne Schulen und in Elternvorträge. Wir haben sie 164 mal eingesetzt.

Insgesamt waren wir an 628 Tagen mit der Ausstellung aktiv.

Ich selbst bin seit 2004 hauptverantwortlich mit der Ausstellung unterwegs; ergänzend zur Ausstellung biete ich schon ab dem Vorschulalter Trainings für junge Kinder an. In den Trainings lernen sie, ihre eigenen Empfindungen als Ratgeber wahrzunehmen, und sie üben Wege des schnellen Reagierens in Richtung auf Abgrenzung und Schutzsuche ein, die sie z. B. auf dem Schulweg brauchen können.

Nicht selten war unsere Begleitete Führung durch die Ausstellung, die wir ab dem 8. Lebensjahr anbieten, auch eine erste Kontaktchance für gewaltbetroffene Kinder oder Eltern; in der Regel ermutigten unsere Gespräche über die Bilder der Ausstellung diese Kinder und Erwachsenen, sich in der Folge anzuvertrauen und Schutz und Hilfe zu suchen und zu bekommen.

Die Sensibilität für das Thema wächst, und die Offenheit nimmt zu.

Eine Mutter stand bei einem ländlichen Elternabend auf – es waren überraschend 160 Eltern gekommen, wo wir mit 20-30 rechneten – und sagte: Ich bin so wütend! Dass Sie erst jetzt kommen! Mir ist das früher passiert, und keiner hat mir geglaubt. Meinem Kind ist es auch passiert, und ich bin verzweifelt. Aber jetzt ist es raus, und wir reden drüber! – Und das passierte dann auch, und tut es weiterhin.