Wir sehen hier eine Ausstellung über das – strategische – Verhalten von Menschen, welche die Absicht haben, Kinder für ihre eigenen Interessen auszubeuten und sexuell zu missbrauchen.

Und die Fragen, die immer wieder auftauchen, sind:

Warum tun Menschen so etwas?

Weshalb sind sie bei ihrem Tun so erfolgreich?

Warum werden andere Menschen nicht misstrauisch?

Warum werden so viele Menschen zu Mittätern?

Warum werden so viele Kinder zu Opfern dieser Täter und Mittäter?

Es gibt auf diese Fragen keine einfachen Antworten, aber häufig scheint es einen Zusammenhang mit der Lebensgeschichte der Täter und Mittäter und der Opfer zu geben. Es gibt zwar auch andere Positionen, in denen das Täterverhalten auf genetische Faktoren oder Prägungen zurückgeführt werden, denen sich die Täter ausgeliefert fühlen. Ich denke allerdings, dass die Lebensgeschichte der Beteiligten die entscheidende Rolle spielt.

Ich möchte hier, wegen der geringen Zeit, nur sehr verkürzt und unsystematisch – aber auf Grund dieser Annahme – auf diese Fragen eingehen.

Mit der letzten Frage „Warum werden Menschen – insbesondere Kinder – zu Opfern?“ möchte ich anfangen.

Immer dann, wenn Gewalt im Spiel ist, ist die Antwort einfach. Wenn das Opfer nicht die Möglichkeit hat, sich zur Wehr zu setzen, ist es der potentiellen oder realen Gewalt eines oder mehrerer Menschen hilflos ausgeliefert.

Anders sieht es aus, wenn Verführungsversuche im Spiele sind. Dann ist es die Bedürftigkeit des Opfers, Wünsche nach Zugehörigkeit, nach Vertrauen und Nähe, nach Zuneigung und Liebe, nach Geborgenheit und Sicherheit, nach Wertschätzung, nach Anerkennung der eigenen Fähigkeiten, – Wünsche, deren Erfüllungen von existenzieller Bedeutung insbesondere für Kinder sind -, die es anfällig für die Versprechen der Täter oder Täterinnen machen. Deswegen ist es von außerordentlicher Wichtigkeit, dass die erwachsenen Bezugspersonen aufmerksam gegenüber den existentiellen Wünschen der Kinder sind und sich um die Erfüllung dieser existentiellen Wünsche bemühen.

Vielen Erwachsenen aber fällt genau dieses sehr schwer. Sie haben in ihrer eigenen Kindheit selber existentielle Wünsche gehabt, die ihnen keiner erfüllt hat. Sie haben sich als Kinder und als Jugendliche oft ausgegrenzt, missachtet, schlecht behandelt, wirkungslos und ausgeliefert gefühlt. Und sie spüren dann meist einen Mangel, ein inneres Defizit, wodurch es ihnen erschwert ist, sich anderen emotional zuzuwenden und ihnen Anerkennung und Zuneigung zu geben. Sie wollen lieber etwas von anderen haben. Sie wollen von ihren Kindern geliebt werden, sie wollen, dass ihre Kinder ihnen als Zeichen ihrer Zuneigung und ihres Respektes gehorchen. Und das gilt häufig auch für die anderen Bezugspersonen im Kindergarten und in der Schule. Dazu kommt, dass wir in unserer Kultur immer noch den Kindern ihre Autonomie nicht zugestehen. Erwachsene streichen es immer noch als ihr Verdienst ein, wenn Kinder oder Jugendliche tun, was die Erwachsenen wollen. Sie gehen davon aus, dass das gehorsame Verhalten von den Kindern eine Leistung der jeweiligen Bezugspersonen ist, weil es eben die Aufgabe der Erwachsenen sei, die Kinder im Griff zu haben, Disziplin herzustellen, die Kinder zu motivieren usw.

Bisher denken viele Menschen immer noch: Wenn Erziehungsprozesse gelingen, hat der Erwachsene gute Arbeit geleistet.

Ein Scheitern ihrer Erziehungsbemühungen können Erwachsene meist nur schwer ertragen, der Widerstand der Kinder und Jugendlichen lässt sie hilflos zurück und diese Hilflosigkeit erinnert viele Menschen an die Hilflosigkeit ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Sie erleben sie als unerträglich und werden wütend auf die ungehorsamen Kinder, weil sie ihre eigene Hilflosigkeit so schnell wie möglich wieder beseitigen wollen. Manche Erwachsene werden in einer solchen Situation gewalttätig, sie schlagen zu oder versuchen mit anderen – manchmal sehr grausamen Mitteln – die Kinder dazu zu bringen, dass zu tun, was die Erwachsenen wollen.

Und daraus wieder lernt eine Reihe von Kindern. Sie lernen, dass es offensichtlich angemessen ist, wenn sie schlecht behandelt werden. Kinder idealisieren meistens ihre Eltern. Die Eltern haben in ihren Augen recht, die Kinder geben sich häufig selbst die Schuld, wenn ihre Eltern ärgerlich, wütend oder enttäuscht von ihnen sind. Und wenn sie sich daran gewöhnen, dass ihre eigenen existentiellen Wünsche nicht erfüllt werden, dann halten sie es auch oft später für selbstverständlich, dass sie von anderen schlecht behandelt werden und sie tun dies dann auch.

Sie werden selber zu Tätern, indem sie das mit anderen wiederholen, was ihnen selbst angetan wurde, oder sie werden zu Mittätern dadurch, dass sie zulassen, dass in ihrer Gegenwart mit anderen Menschen unangemessen, unfreundlich, missachtend, verächtlich oder grausam umgegangen wird.

Andere Kinder leiden und fühlen sich einsam und ungeliebt. Sie behalten ihre Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Akzeptanz, Zuneigung, Achtung und Wertschätzung und wenn jemand kommt und ihnen die Erfüllung aller ihrer existentiellen Wünsche anbietet, können sie zunächst kaum widerstehen. Täter wissen das. Sie geben einander Ratschläge im Internet, wie man erkennt, welche Kinder sich für ihre langsame Verführung und den anschließenden Missbrauch eignen. Es sind diejenigen, die auf dem Spielplatz allein spielen, schüchtern wirken, nicht zu einer Gruppe dazu gehören. Kinder, deren existentielle Wünsche nach Achtung, Wertschätzung und Zuneigung offensichtlich von ihrer sonstigen Umwelt nicht erfüllt werden. Diese Kinder haben dann wegen ihres fehlenden Vertrauens oder wegen ihrer für sie negativen Erfahrungen auch große Schwierigkeiten, sich anderen Erwachsenen anzuvertrauen und ihnen vom Verhalten des jeweiligen Täters zu erzählen.

Aber warum werden die Erwachsenen eines missbrauchten Kindes nicht misstrauisch gegenüber dem Täter? Dafür gibt es viele mögliche Begründungen und es ist sicher nur im Einzelfall zu entscheiden, warum sie nichts merken, nichts merken können oder nichts merken wollen. Häufig sind die Täter außerordentlich charmant, sie schmeicheln den Eltern, und sie erfüllen ihnen ihre wichtigsten Wünsche, sie sind in Gegenwart der Eltern freundlich zu den Kindern und unterstützen die ganze Familie.

Die Eltern fühlen sich oft auch alleingelassen mit ihrer großen Sehnsucht danach, ihre eigenen existentiellen Wünsche von anderen erfüllt zu bekommen und da kommen die Täter gerade recht. Sie befriedigen die Eltern und missbrauchen die Kinder.

Aber die Hauptfrage bleibt. Warum missbrauchen Menschen – meistens Männer – Kinder, Jungen wie Mädchen und manchmal sogar Babys und Kleinkinder?

Kleine Kinder sind erwachsenen Menschen in jedem Falle – wegen der körperlichen Überlegenheit – hilflos ausgeliefert.

Und es ist vor allem diese Hilflosigkeit, welche die Täter auf eine ihnen meist nicht bewusste Weise fasziniert und die sie an die Hilflosigkeit ihrer eigenen Kindheit erinnert. Eine immer noch unerträgliche Hilflosigkeit, die sie deshalb immer wieder mit Hilfe von Machtgefühlen vernichten wollen. Für viele Menschen gibt es eine Verbindung von Macht und sexuellen Gefühlen, aber die Machtgefühle mit erwachsenen Partnern zu entwickeln ist sicher schwieriger als diese in Bezug auf Kinder zu spüren. Den schnellen Wechsel der Gefühle von Kindern – zwischen Vertrauen und Angst, Hoffnung und Enttäuschung, Entsetzen und Bewunderung – aktiv selbst in Gang setzen zu können, damit spielen zu können und dabei sukzessive das entgegengebrachte unschuldige Verhalten der Kinder zu zerstören und sie zu Komplizen der eigenen Lust zu machen, das lässt sehr starke Machtgefühle in den Tätern entstehen, die auf eine andere Weise im Rahmen eines unauffälligen bürgerlichen Lebens meist gar nicht zu erreichen sind.

Macht ist ein Ersatzgefühl für andere Gefühle. Macht macht nicht satt, man will immer mehr davon. Aber zusammen mit den aktivierten Machtgefühlen verschwinden die Schmerzen des Opfers und seine Erinnerungen, wie es sich als Kind in seinem hilflosen Zustand gefühlt hat.

Das bedeutet, dass der Täter über keine empathischen Fähigkeiten mehr verfügt.

Das Ironische an diesem ganzen Prozess ist, dass es sich um einen fehlgeleiteten Heilungsversuch handelt. Die alte existenzbedrohende Hilflosigkeit des gequälten Kindes soll endlich vernichtet werden und Macht scheint dafür geeignet. Wer mächtig ist, ist eben gerade nicht hilflos, ohnmächtig und ausgeliefert.

Es wird nur die alte Dynamik des Wechsels vom Opfer zum Täter, die in der nächsten Generation wieder Opfern suchen, die dann wieder Täter oder Mittäter werden können. Und wenn der Prozess durch Bewusstheit nicht unterbrochen wird, wird er sich immer weiter fortsetzen.

Es liegt auch an uns, wie wir mit den Kindern und Jugendlichen umgehen, wie wir ihre Familien, die wegen ihres eigenen Mangels selber Schwierigkeiten, ihre Kinder und sich selbst angemessen zu versorgen, unterstützen und wie sehr wir uns selber bemühen, die existentiellen Wünsche anderer – kleiner wie großer – Menschen zu erfüllen.